Inklusion: Talente entdecken und Fachkräfte gewinnen

Auf der Fachmesse Rehacare werden Beispiele gelungener Inklusion vorgestellt.
Das Team von Downtown Waffles. © Downtown Waffles (Foto); Natascha Plankermann (Text)

Lässt sich der Fachkräftemangel mithilfe inklusiver Talente lösen? Viele Initiativen setzen sich dafür ein und stellen ihre Projekte auf der Rehacare 2024 vor, einer Fachmesse für Rehabilitation und Pflege. Es sind Beispiele gelungener Inklusion: Arbeitgebende erleben begeisterte Mitarbeitende, die bei ihren Kunden gut ankommen.

Jasper serviert Waffeln nicht nur mit Puderzucker. Er backt sie auch als herzhafte Variante mit Trüffelgeschmack. Und wenn der 21-Jährige mal nicht im Team des mobilen Stands von „Downtown Waffles“ am Düsseldorfer Rheinufer eingeteilt ist, fragt er nach, ob er dennoch etwas tun kann – „weil es mir so viel Spaß macht, mich mit den Kunden zu unterhalten“. Jasper hatte als Kind einen Verkehrsunfall, dessen Folgen ihn bis heute einschränken. Tom Sion und Vincent Wirxel, Jaspers Arbeitgeber, schätzen indes sein Talent, zu bedienen und zu erleben, wie der junge Mann am Waffelstand quasi aufblüht. Sie haben selbst gerade ihren Uni-Abschluss gemacht und sind schon als Start Up mit dem Motto „Inklusion als Herzstück“ unterwegs.

Angespannte Arbeitsmarkt-Situation entlasten - mit inklusiven Initiativen

Potenziale von Menschen mit Behinderungen erkennen und nutzen, um dem Fachkräftemangel zu begegnen – diese Strategie bekommt immer mehr Fürsprecher. Laut den letzten Zahlen des ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung (März 2024) leiden derzeit 36,3 Prozent der Firmen in Deutschland unter Engpässen an qualifizierten Arbeitskräften.

Hoffnungsvoll äußert sich das Institut der Deutschen Wirtschaft: „Menschen mit Behinderungen könnten die angespannte Situation etwas entlasten. Bundesweit gab es im Jahr 2021 rund 3,1 Millionen Schwerbehinderte im erwerbsfähigen Alter, also zwischen 15 und 65 Jahren. Allerdings werden längst nicht alle in den allgemeinen Arbeitsmarkt integriert: So waren im Oktober 2023 rund 165.700 Menschen mit Behinderungen arbeitslos gemeldet.“ Diesen potenziellen Bewerbern offene Stellen zu vermitteln, das hat sich eine gemeinsame Initiative der nordrhein-westfälischen Landesregierung, von Arbeitgeberinnen- und Arbeitgebervertretern, der Bundesagentur für Arbeit, des Deutschen Gewerkschaftsbundes und weiteren Partnern auf die Fahne geschrieben.

Gelebte Inklusion: Das Projekt „3 mal 10 Prozent“

Die Landschaftsverbände Rheinland und Westfalen-Lippe (LWL), auch als Aussteller auf der Rehacare vertreten, wirken ebenfalls bei der Initiative zur Inklusion mit. Dr. Georg Lunemann, der Direktor des LWL, beschreibt das hauseigene Projekt „3 mal 10 Prozent“ so: „Wir wollen zehn Prozent der Menschen mit Behinderung aus den Werkstätten in Westfalen-Lippe möglichst in den ersten Arbeitsmarkt bringen. Wir wollen zweitens als LWL mit gutem Beispiel vorangehen und unsere eigene Schwerbehindertenquote auf zehn Prozent hochschrauben, doppelt so viel wie vorgeschrieben. Und wir wollen drittens die Arbeitslosenquote von Menschen mit Behinderung bis 2030 um zehn Prozent senken." Eine Strategie von vielen auf diesem Weg sind zum Beispiel sogenannte Außenarbeitsplätze. „Das bedeutet, dass ein Mitarbeitender sich und seine Fähigkeiten ein Jahr in einem Betrieb ausprobieren kann. Währenddessen bleibt er unter dem Dach der Werkstatt und wird begleitet. Das Ziel ist natürlich, dass er oder sie dauerhaft übernommen wird“, erläutert Petra Wallmann vom LWL-Inklusionsamt Arbeit.

Neue Karriere nach dem Arbeitsunfall

Kreativ werden, damit Menschen mit Einschränkungen nach Arbeitsunfällen oder berufsbedingten Erkrankungen wieder Erfolg im Job haben – das gehört zu den wichtigsten Aufgaben von Thomas Schramm, Koordinator und Rehabilitations-Fachberater bei DGUV job, seit 25 Jahren der Service für Arbeitsvermittlung der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV). Die DGUV gehört zu den großen Ausstellern auf der Rehacare und präsentiert zum Jubiläum von DGUV job unter anderem das Online-Tool „Wegweiser Berufsumstieg“. Thomas Schramm weiß aus Erfahrung: „Wenn es sich abzeichnet, dass man etwa aufgrund einer Krankheit seinen ursprünglichen Beruf nicht mehr ausüben kann, dann kann man sich mithilfe des Tools testen. Dabei lässt sich herausfinden, wo die eigenen Stärken liegen und wie ein möglicher künftiger Karriereweg aussieht.“ Diesen einzuschlagen, dabei können die Berater von DGUV job helfen – und nach den Worten von Schramm nicht nur Eignungen wie frühere Berufsabschlüsse, sondern auch Neigungen berücksichtigen: „So mancher hat sich in seinem Hobby neu spezialisiert und verkauft jetzt Modelleisenbahnen oder Angelruten.“

Das Projekt "Downtown Waffles": Engagement für Menschen mit Behinderungen

Bei den Waffelbäckern von ,Downtown Waffles‘ gehört das Engagement von Menschen mit Behinderungen von Anfang an zum Konzept: „Die Marke zu entwickeln, das war die Bachelor-Arbeit von Vincent. Er hat erlebt, wie seine Schwester, die das Down-Syndrom hat, keine Chance bekam, eine feste Stelle zu erhalten. Um ein Zeichen zu setzen, haben wir überlegt, das Projekt auch in der Realität umzusetzen. Bisher finanzieren wir es komplett selbst, wie jeder andere Betrieb“, erzählt Tom Sion. Inzwischen haben das Fernsehen und die Regionalpresse über die engagierten Gründer berichtet, Absolventen von Förderschulen bewerben sich und Tom meint: „Viele rocken den Stand hier so gut – ich verstehe nicht, warum sie keine anderen Angebote bekommen, sondern in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen arbeiten sollen.“

Dass man sich kein Talent bei der Auswahl der Bewerber und Bewerberinnen entgehen lassen sollte, ganz gleich ob diese schon etwas älter sind, eine Zuwanderungsgeschichte oder eine Behinderung haben, das hat auch die KfW-Bankengruppe verstanden. „Aktion Mensch“ stellt sie als Beispiel für die Gewinnung von Fachkräften vor – damit ist die KfW-Bank eins von immer mehr Unternehmen, die mit dem Sozialunternehmen myAbility zusammenarbeiten. Es hilft ihnen dabei, Menschen mit Behinderung oder chronischer Erkrankung für freie Stellen zu gewinnen. „Wir begleiten Unternehmen entlang ihres Weges zu einer inklusiven Unternehmenskultur“, sagt myAbility über sich – unter anderem mit der nach eigenen Angaben größten Jobplattform für Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen.

Informationen zur Inklusion:

Gemeinsame Initiative zur Stärkung der Inklusion auf dem Arbeitsmarkt in Nordrhein-Westfalen: https://www.land.nrw/pressemitteilung/menschen-mit-behinderungen-und-offene-stellen-besser-zusammenbringen

Mehr Informationen zum LWL-Projekt „3 mal 10 Prozent“: https://www.lwl.org/pressemitteilungen/nr_mitteilung.php?urlID=58874

Film:
https://www.lwl-inklusionsamt-arbeit.de/de/wfbm_al/uebergang-aus-der-werkstatt-in-den-allgemeinen-arbeitsmarkt/

Das Sozialunternehmen myAbility mit Wirtschaftsforum und Jobplattform: www.myability.org

Das Jobportal von EnableMe hilft Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen dabei, Stellenausschreibungen nach ihren Bedürfnissen zu finden: https://www.enableme.de/de/jobbörse

Der „Wegweiser Berufsumstieg“ von DGUV job hilft Menschen, die sich umorientieren wollen oder müssen: https://www.dguv.de/job/wegweiser-berufsumstieg/index.jsp