Kurzsichtigkeit bei Kindern behandeln: Was Eltern wissen sollten

Kurzsichtigkeit bei Kindern sollte so früh wie möglich behandelt werden.
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Starke Kurzsichtigkeit bei Kindern erhöht das Risiko, später an Augenerkrankungen wie Grauem und Grünem Star, einer Netzhautablösung oder Makuladegeneration zu erkranken. Früh erkannt, lässt sich das zunehmend schlechte Sehen aufhalten.

Anni war in der ersten Schulklasse, als ihre Kurzsichtigkeit auffiel: Von den hinteren Reihen aus konnte sie nur schlecht erkennen, was auf der Tafel stand, zu Hause saß sie mit zusammengekniffenen Augen vor dem Fernseher. Ein Besuch bei der Augenärztin zeigte: Das Kind hatte bereits minus zwei Dioptrien. Von da an brauchte Anni immer wieder stärkere Brillengläser. Ihre Myopie, wie Kurzsichtigkeit in der Fachsprache heißt, nahm bis zum Alter von 20 Jahren zu: Dann war Anni bei minus 11 Dioptrien auf dem einen und minus 10,5 Dioptrien auf dem anderen angekommen. Immer hatte sie ihre Kurzsichtigkeit als Belastung empfunden: Die Gläser wurden mit den Jahren dicker und dicker, die Brille störte beim Sport – und als Teenager fand sie sich damit auch nicht wirklich hübsch …

Immer mehr Kinder sehen schlecht

Aber eine hochgradige Kurzsichtigkeit ist mehr als lästig. Sie geht mit dem Risiko einher, Augenerkrankungen wie einen Grünen oder Grauen Star, eine myopische Makuladegeneration oder gar eine Netzhautablösung zu entwickeln. Als Anni ein Kind war, vor rund vier Jahrzehnten, konnten ihre Eltern noch nicht viel mehr tun, als ihr eine schöne Brille auszusuchen. Das ist heute zum Glück anders – denn immer mehr Kids sind von diesem Problem betroffen: Die Anzahl der kurzsichtigen Kinder im Alter zwischen sechs und zehn hat sich in den letzten 60 Jahren mehr als verdoppelt – Tendenz steigend.

Risikofatoren kennen und möglichst ausschalten

Einer der Hauptgründe für die Zunahme von Kurzsichtigkeit bei Kindern ist, dass sich Kids heute viel weniger im Freien aufhalten und immer länger vor Bildschirmen sitzen. Und die Zeit vor den Geräten und die Konzentration der Augen auf Dinge, die sich „direkt vor der Nase“ befinden, erhöht das Risiko, kurzsichtig zu werden. Ein weiterer Risikofaktor ist es, bei schlechten Lichtverhältnissen zu lesen oder Hausaufgaben zu machen. Auch die Gene spielen eine Rolle: Ist ein Elternteil kurzsichtig, werden die Kinder es mit 30-prozentiger Wahrscheinlichkeit auch. Sind gar beide Eltern betroffen, steigt das Risiko sogar auf 60 Prozent.

Kurzsichtigkeit bei Kindern: Warum Eltern rasch handeln sollten

Expertinnen und Experten raten dazu, die Augen eines Kindes regelmäßig ärztlich checken zu lassen, denn Kurzsichtigkeit verschlechtert sich bei jungen Kindern besonders schnell. Außerdem sollten Eltern auf typische Anzeichen achten wie darauf, dass die Kleinen Gegenstände oder Bücher sehr nah ans Gesicht halten bzw. sehr nah vor dem Fernseher oder Computer sitzen, übermäßig oft blinzeln oder die Augen zusammenkneifen, sich häufig die Augen reiben und über Kopfschmerzen klagen. Wird eine Kurzsichtigkeit frühzeitig erkannt, lässt sich heute – anders als noch in Annis Kindheit – mit den folgenden Maßnahmen aktiv gegensteuern.

Spezielle Brillengläser für Kinder ab acht Jahren können nicht nur die Sehschärfe korrigieren, sondern auch das Fortschreiten der Myopie verhindern. Um die Wirkung der Brille zu gewährleisten, müssen Kinder sie täglich tragen. Auch der korrekte Brillensitz muss regelmäßig überprüft werden.

Orthokeratologie-Kontaktlinsen sind feste (formstabile) Kontaktlinsen und werden über Nacht getragen. Die Augenoberfläche wird dabei so verändert, dass tagsüber keine Sehhilfe benötigt wird, um scharf zu sehen. Diese Form der Therapie ist zum Beispiel gut für Kinder und Jugendliche, die viel schwimmen, da Brillen hier stören und Kontaktlinsen von Keimen befallen werden können. Je früher und regelmäßiger die Linsen getragen werden, desto größer ist der wahrscheinliche Erfolg. Der Zeitraum, um korrigierend einzugreifen, endet in der Regel mit dem 16. Lebensjahr.

Medizinische Augentropfen mit niedrig dosiertem Atropin werden abends vor dem Schlafengehen verabreicht. Tagsüber sind zusätzlich eine Brille oder Kontaktlinsen in der passenden Sehstärke notwendig. Diese Behandlungsmethode befindet sich noch der Studienphase, es gibt widersprüchliche Aussagen zur Wirksamkeit. Augenärztin oder Augenarzt können entscheiden, ob die Therapie geeignet ist.

Spezielle Einmalkontaktlinsen werden tagsüber getragen und abends weggeworfen. Sie ermöglichen durch ihre besondere Optik scharfes Sehen und können gleichzeitig das Fortschreiten der Kurzsichtigkeit hemmen. Ihre Wirkung wurde bei Kindern zwischen acht und 18 Jahren klinisch geprüft, sie lassen sich aber schon bei kleineren Kindern anwenden. Dazu Dr. Michael Bärtschi: „Aus medizinischer Sicht können sogar Säuglinge problemfrei Kontaktlinsen tragen. Die meisten Kinder bekommen ihre Kontaktlinsen aber frühestens ab sechs Jahren. Ob ein Kind Kontaktlinsen im Alltag tragen kann oder nicht, hängt hauptsächlich von seinen individuellen Fähigkeiten und seiner geistigen Reife ab. Eltern sollten den Ehrgeiz und die Fähigkeiten von Kindern niemals unterschätzen.“

Kassen tragen die Kosten meist nicht

Ein Wermutstropfen bei all diesen Therapien sind die Kosten: Kontaktlinsen zur Verbesserung der Sehschärfe oder spezielle therapeutische Sehhilfen werden von den gesetzlichen Kassen nur unter bestimmten medizinischen Voraussetzungen übernommen. Es kann sich lohnen, dazu die Augenarztpraxis und die Kasse direkt anzusprechen. Auch wenn eine Therapie mit Augentropfen in Frage kommt, sollten Sie sich zunächst bei Ihrer Krankenkasse erkundigen, wie es um die Erstattung steht. Tipp: Augenärztin oder Augenarzt können einen Antrag auf Kostenübernahme bei der gesetzlichen Krankenkasse stellen. Müssen die Tropfen privat bezahlt werden, summieren sich die Ausgaben auf etwa 200 Euro pro Jahr. Die Kosten für Einmalkontaktlinsen werden ebenfalls nicht von den gesetzlichen Kassen übernommen: Hierfür fallen rund 55 Euro pro Monat an.

 

Myopie-Management: Kurzsichtigkeit bei Kindern stoppen

Bei einer Myopie ist der Augapfel länger als gewöhnlich. Das führt dazu, dass das Licht, das parallel ins Auge fällt, nicht genau auf die Netzhaut projiziert wird, sondern davor. Der sogenannte Brennpunkt liegt demnach nicht optimal im Auge und lässt Betroffene ohne Korrektur durch Brille oder Kontaklinsen nur in der Nähe scharf, in der Ferne aber unscharf sehen. Myopie-Management soll verhindern, dass der Augapfel weiter in die Länge wächst und die Kurzsichtigkeit zunimmt.